Kyoto verzögert den Klimawandel um 6 Jahre
Bjorn Lomborg plädiert für das richtige Setzen von Prioritäten auf der globalen Agenda
von Norbert Lossau
Professor Bjorn Lomborg - lehrt an der Universität Aarhus politische Wissenschaften und war von 2002 bis 2004 Direktor des nationalen dänischen Instituts für Umweltfolgenabschätzung. Mit seinem Buch "Apocalypse no!" wurde er weltberühmt. Das "Time Magazine" wählte Lomborg im vergangenen Jahr zu einer der 100 einflußreichsten Personen weltweit. Die "Business Week" kürte Lomborg zu einem von neun "agenda setters" in Europa. Das World Economic Forum, der Veranstalter der Weltwirtschaftsgipfel von Davos, ernannte Bjorn Lomborg bereits im Jahr 2001 zu einem "Global Leader for Tomorrow", und auf dem Jahrestreffen des World Economic Forum wurde Lomborg in der vergangenen Woche mit einem weiteren Titel ausgezeichnet: Er ist nun auch "Young Global Leader". Im Mai 2004 organisierte Bjorn Lomborg den "Copenhagen Consensus", auf dem hochkarätige Experten die größten Herausforderungen unserer Zeit diskutierten und gewichteten. Demnach hat die globale Klimaerwärmung nicht die oberste Priorität auf der Agenda der zu lösenden Probleme. Über den Klimawandel und das Kyoto-Protokoll sprach mit Lomborg Norbert Lossau.
Die Welt: Sie haben vor zwei Jahren das Buch "Apocalypse no!" veröffentlicht. Kritiker werfen Ihnen vor, daß Sie dort ernste Probleme einfach leugnen würden.
Bjorn Lomborg: In der Tat hat es von Umweltaktivisten sehr heftige Reaktionen auf mein Buch gegeben. Doch ich sage doch durchaus, daß es eine ganze Reihe von Problemen in der Welt gibt, um die man sich wirklich kümmern sollte. Ich behaupte nicht, daß alles wunderbar ist und wir uns keinerlei Sorgen machen bräuchten. Aber ich weise eben ganz deutlich darauf hin, daß viele Umwelt-Indikatoren tatsächlich besser geworden sind, obwohl die Mehrheit fälschlicherweise glaubt, daß sie schlechter würden. Ich habe überhaupt nichts dagegen, daß sich Menschen um Umweltprobleme kümmern möchten. Das ist sogar sehr lobenswert. Aber dabei muß man eben die Prioritäten richtig setzen. Welche Umweltprobleme sind die wichtigsten? Über welche Dinge müssen wir uns wirklich Sorgen machen? Darüber sollten wir genau nachdenken. Und genau dazu hat mein Buch viele Menschen sensibilisiert. Wir können nicht alle Probleme gleichzeitig angehen, sondern wir müssen uns überlegen, wie wir Probleme möglichst effizient lösen.
Die Welt: Hat sich denn bei den Problemen dieser Welt irgend etwas Wesentliches in den letzten beiden Jahren verändert?
Lomborg: Nein, die Fakten sind im wesentlichen gleich geblieben. Die einzig wichtige Änderung besteht darin, daß wir jetzt sehr viel höhere Ölpreise haben. Das hat zur Folge, daß viele Menschen befürchten, die Ölvorräte könnten schon bald erschöpft sein. Doch dem ist nicht so. Die Ölquellen werden auf absehbare Zeit nicht versiegen. Gleichwohl wird das Öl immer teurer werden, weil es auf diesem Markt praktisch eine Monopolsituation gibt. Daher werden Kohle und Gas künftig eine größere Rolle spielen - aber auch erneuerbare und nukleare Energiequellen, Kern- und langfristig auch die Fusionsenergie.
Die Welt: Es besteht also kein besonderer Grund zur Sorge?
Lomborg: Die Fakten sind doch, daß die Menschen mehr Nahrung zur Verfügung haben, länger leben, die Kindersterblichkeit niedriger ist, sie mehr Freizeit und mehr Einkommen haben, eine bessere Ausbildung erhalten, und die Umwelt wird in vieler Hinsicht nicht schlechter, sondern besser - auch die Luft- und Wasserqualität.
Die Welt: Diese Erfolge basieren auf Wissenschaft und Technik?
Lomborg: Die Erfolge basieren auf vielen verschiedenen Dingen. Der entscheidende Punkt ist doch, daß wir deshalb immer mehr Probleme lösen können, weil wir immer reicher geworden sind. Und genau dies haben wir ja auch getan, so daß es der Umwelt heute viel besser geht als noch vor einigen Jahrzehnten. Da wir aber nicht alles auf einmal tun können, kommt es darauf an, daß wir die richtigen Dinge tun - das Wichtigste zuerst. Die Luftverschmutzung tötet zum Beispiel jährlich rund 65 000 Menschen allein in Großbritannien. In den USA sind es 135 000 Tote. Pestizide töten hingegen vielleicht nur einen Menschen pro Jahr. Da muß man die Prioritäten beim Handeln richtig setzen. Die effizientesten Dinge müssen einfach zuerst gemacht werden.
Die Welt: Was sind die drei Themen mit der höchsten Priorität?
Lomborg: Wenn wir von den entwickelten Ländern sprechen, dann ist die absolute Nr. 1 die Luftverschmutzung. Die amerikanische Umweltschutzagentur schätzt, daß zwischen 86 und 96 Prozent aller Vorteile für den Menschen, die aus irgendeiner Umweltschutzmaßnahme resultieren, sich aus Regulierungen zum Schutz der Luft ergeben. Daher sollten sich auch 86 bis 96 Prozent aller Umweltschutzdiskussionen um das Thema Reinhaltung der Luft drehen. Zwar ist die Luft innerhalb der letzten 50 Jahre dramatisch besser geworden, dennoch bleibt hier viel zu tun. Was wir dann als Thema Nr. 2 oder Nr. 3 ansehen ist schon eher eine Geschmacksfrage. Wollen wir etwa den Sauerstoffeintrag in die Küstengewässer reduzieren, damit es keine so starke Algenblüte gibt, oder wollen wir weniger Ozon in Bodennähe haben, das hauptsächlich durch den Straßenverkehr verursacht wird? Was wir hier auch immer verbessern wollen - es ist sehr viel weniger wichtig als die Reinhaltung der Luft. Ich würde also sagen, daß es eigentlich nur eine Priorität gibt.
Die Welt: Wenn Sie von Luftverschmutzung sprechen, welche Moleküle meinen Sie dann?
Lomborg: Es geht hier nicht um eine bestimmte Art von Molekülen. Es geht hier um mikrometerkleine Partikel in der Luft. Dabei ist es gar nicht so wichtig, woraus sie bestehen. Solche Partikel werden hauptsächlich von Dieselmotoren in die Umwelt abgegeben.
Die Welt: Es gibt Filter, mit denen sie sich zurückhalten ließen.
Lomborg: Ja. Die EU hat hier leider Grenzwerte nach Gewicht etabliert. Diese kleinen Partikel wiegen jedoch fast gar nichts. Das Ziel muß hingegen vielmehr sein, so viele Partikel wie möglich aus dem Abgasstrom herauszufiltern. Das können die heute verfügbaren Filter, und sie sollten in alle neuen Dieselautos eingebaut werden.
Die Welt: Welche Krankheiten werden durch die Partikel ausgelöst?
Lomborg: Lungenkrebs und Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie eine Vielzahl anderer Erkrankungen. Doch wir haben hier letztlich nur statistische Informationen. Der kausale Zusammenhang mit einer bestimmten Erkrankung ist im Einzelfall nur schwer nachweisbar.
Die Welt: Es wäre Ihrer Meinung nach also sehr viel wichtiger, gegen die Luftverschmutzung vorzugehen, als den Ausstoß von Kohlendioxid zu reduzieren, wie es das Kyoto-Protokoll vorsieht?
Lomborg: Die Kohlendioxid-Emissionen sind ja ein ganz anderes Thema, weil sie niemanden direkt verletzen oder die Gesundheit beeinträchtigen. Sie haben vielmehr einen langfristigen Einfluß auf das globale Klima. Und hier muß man feststellen, daß der meiste Schaden durch die globale Erwärmung des Erdklimas die Dritte Welt treffen wird. Die Klimaerwärmung ist also in erster Linie ein Thema der Dritten Welt, das wir dort mit anderen Problemen vergleichen müssen. Auf die entwickelten Länder wird die Klimaerwärmung nur einen sehr geringen Effekt haben. Hier wird es negative, aber auch positive Auswirkungen geben, die sich im großen und ganzen kompensieren.
Die Welt: Aber welche Prioritäten sehen Sie dann für die Dritte Welt?
Lomborg: Hier muß man sehen, daß die Entwicklungsländer ganz andere und viel drängendere Probleme haben. Das größte Umweltproblem der Dritten Welt ist nicht wie bei uns die Out-door-Luftverschmutzung, sondern vielmehr die In-door-Luftverschmutzung. Die WHO schätzt, daß in der Dritten Welt jährlich 2,6 Millionen Menschen durch Luftverschmutzung innerhalb von Gebäuden sterben. Der Grund dafür liegt in der Nutzung unsauberer Brennstoffe wie schlechtes Holz, Kohle, Müll und häufig auch einfach Dung von Tieren, etwa zum Kochen, und das trifft dann besonders Frauen und Kinder. Das ist natürlich ein Armutsproblem. Das gilt für die meisten Probleme in der Dritten Welt. Wenn man sich darüber Sorgen machen muß, wie man an die nächste Mahlzeit kommt, dann macht man sich keine Gedanken über die Umwelt in 100 Jahren. Wenn man also etwas für die Umwelt tun will, dann sollte man in erster Linie versuchen, die Armut in der Welt zu überwinden.
Die Welt: Was halten Sie vom Kyoto-Protokoll?
Lomborg: Zunächst einmal müssen wir feststellen, daß es eine globale Erwärmung der Erde gibt und dies ein ernstes Thema ist. Alles in allem ist die Klimaveränderung eine schlechte Entwicklung für unseren Planeten. Aber am schlimmsten wird sie für die Dritte Welt sein. Dafür gibt es zwei einfache Gründe: Zum einen ist es in vielen Entwicklungsländern ohnehin schon sehr warm. Zum anderen ist dort viel weniger Infrastruktur verfügbar, um mit den Problemen umzugehen, die sich aus der Klimaerwärmung ergeben werden. Nehmen Sie zum Beispiel den Hurrikan "Andrew", der 1992 unter anderem Florida und Honduras heimgesucht hat. In Florida gab es praktisch keine Toten, und der Schaden betrug dort zehn Prozent des Bruttosozialprodukts von Florida. In Honduras gab es hingegen sehr viele Tote, und der Schaden summierte sich auf zwei Drittel des Sozialprodukts. Wer arm ist, wird also durch Naturkatastrophen besonders stark betroffen. Länder wie Dänemark werden indes von höheren Temperaturen sogar wirtschaftlich profitieren. Das zeigen Modellrechnungen.
Die Welt: Wenn Dänemark von der globalen Erwärmung profitieren soll, dann darf aber nicht der Golfstrom versiegen, wie dies bestimmte Klimamodelle vorhersagen?
Lomborg: Die Wissenschaftler des Dänischen Meteorologischen Dienstes haben sich alle Studien zum möglichen Versiegen des Golfstroms angeschaut. Es wäre in der Tat eine ganz ernste Angelegenheit, wenn der Golfstrom nicht mehr Wärme nach Europa transportieren würde. Doch alle Modelle zeigen, daß ein Versiegen des Golfstroms in diesem Jahrhundert extrem unwahrscheinlich ist. Das ist also eines dieser Themen, die eigentlich gar kein Thema sind.
Die Welt: Aber ist es ein Thema, wenn durch höhere Temperaturen auch in Europa mehr Todesopfer zu beklagen sein werden. Im ultraheißen Sommer 1993 starben Tausende Menschen.
Lomborg: Der eigentliche Grund, warum diese Menschen starben, ist doch, daß sie in Städten und ohne Klimaanlagen lebten. Innerhalb des letzten Jahrhunderts hat sich die mittlere Temperatur um rund 0,8 Grad Celsius erhöht. In den großen Städten stieg sie im gleichen Zeitraum jedoch um drei bis fünf Grad Celsius. Der Grund dafür sind die vielen dunklen Flächen aus Asphalt und Beton sowie andererseits der Mangel an Grün- und Wasserflächen. Das tötet die Menschen und nicht primär eine Klimaveränderung. Wenn man hier also wirklich etwas verbessern will, dann sollte man mehr Parks mit fließenden Gewässern bauen und den Anteil von dunklen Flächen reduzieren. Damit erreicht man mehr als mit dem Kyoto-Protokoll. Das wird nämlich den Temperaturanstieg auf unserem Planeten nicht stoppen können - allenfalls ein klein wenig verlangsamen. Ich will ja nicht ausschließen, daß eine globale Klimaerwärmung auf lange Sicht auch die Zahl der durch Hitze sterbenden Menschen vergrößert. Aber dann muß man auch darauf hinweisen, daß auf der anderen Seite die Zahl der an Unterkühlung sterbenden Menschen deutlich zurückgehen wird. Denn in der Ersten Welt kommen heute statistisch gesehen auf einen Hitzetoten zwei Kältetote. Es gibt Studien, die für Großbritannien jährlich 9000 weniger Todesfälle als Folge der Klimaerwärmung vorhersagen.
Die Welt: Die Erste Welt wird zwar vom Klimawandel eher profitieren, doch die Dritte Welt darunter stark leiden. Ist es nicht geboten, daß wir allein aus diesem Grund die Kohlendioxid-Emissionen reduzieren?
Lomborg: Diese Frage kann man natürlich stellen. Doch meine Gegenfrage lautet: Macht es denn Sinn, etwas sehr Teures und Aufwendiges zu tun, das vergleichsweise wenig nutzt, wenn es viele andere Optionen gibt, bei denen man mit geringerem Aufwand einen größeren Nutzen erreichen könnte? Aids, Unterernährung, der freie Handel oder Malaria sind Themen, die alle viel wichtiger sind als das Kyoto-Protokoll. Mir geht es doch darum, daß man so viel Gutes wie nur möglich tun kann. Und da ist das Kyoto-Protokoll ein sehr schlechtes Investment. Es verzögert die Klimaerwärmung nur um sechs Jahre, kostet uns aber mindestens 150 Milliarden Dollar pro Jahr.
Artikel erschienen am Fr, 4. Februar 2005
Quelle: http://www.welt.de/data/2005/02/04/458164.html?s=1
Bjorn Lomborg plädiert für das richtige Setzen von Prioritäten auf der globalen Agenda
von Norbert Lossau
Professor Bjorn Lomborg - lehrt an der Universität Aarhus politische Wissenschaften und war von 2002 bis 2004 Direktor des nationalen dänischen Instituts für Umweltfolgenabschätzung. Mit seinem Buch "Apocalypse no!" wurde er weltberühmt. Das "Time Magazine" wählte Lomborg im vergangenen Jahr zu einer der 100 einflußreichsten Personen weltweit. Die "Business Week" kürte Lomborg zu einem von neun "agenda setters" in Europa. Das World Economic Forum, der Veranstalter der Weltwirtschaftsgipfel von Davos, ernannte Bjorn Lomborg bereits im Jahr 2001 zu einem "Global Leader for Tomorrow", und auf dem Jahrestreffen des World Economic Forum wurde Lomborg in der vergangenen Woche mit einem weiteren Titel ausgezeichnet: Er ist nun auch "Young Global Leader". Im Mai 2004 organisierte Bjorn Lomborg den "Copenhagen Consensus", auf dem hochkarätige Experten die größten Herausforderungen unserer Zeit diskutierten und gewichteten. Demnach hat die globale Klimaerwärmung nicht die oberste Priorität auf der Agenda der zu lösenden Probleme. Über den Klimawandel und das Kyoto-Protokoll sprach mit Lomborg Norbert Lossau.
Die Welt: Sie haben vor zwei Jahren das Buch "Apocalypse no!" veröffentlicht. Kritiker werfen Ihnen vor, daß Sie dort ernste Probleme einfach leugnen würden.
Bjorn Lomborg: In der Tat hat es von Umweltaktivisten sehr heftige Reaktionen auf mein Buch gegeben. Doch ich sage doch durchaus, daß es eine ganze Reihe von Problemen in der Welt gibt, um die man sich wirklich kümmern sollte. Ich behaupte nicht, daß alles wunderbar ist und wir uns keinerlei Sorgen machen bräuchten. Aber ich weise eben ganz deutlich darauf hin, daß viele Umwelt-Indikatoren tatsächlich besser geworden sind, obwohl die Mehrheit fälschlicherweise glaubt, daß sie schlechter würden. Ich habe überhaupt nichts dagegen, daß sich Menschen um Umweltprobleme kümmern möchten. Das ist sogar sehr lobenswert. Aber dabei muß man eben die Prioritäten richtig setzen. Welche Umweltprobleme sind die wichtigsten? Über welche Dinge müssen wir uns wirklich Sorgen machen? Darüber sollten wir genau nachdenken. Und genau dazu hat mein Buch viele Menschen sensibilisiert. Wir können nicht alle Probleme gleichzeitig angehen, sondern wir müssen uns überlegen, wie wir Probleme möglichst effizient lösen.
Die Welt: Hat sich denn bei den Problemen dieser Welt irgend etwas Wesentliches in den letzten beiden Jahren verändert?
Lomborg: Nein, die Fakten sind im wesentlichen gleich geblieben. Die einzig wichtige Änderung besteht darin, daß wir jetzt sehr viel höhere Ölpreise haben. Das hat zur Folge, daß viele Menschen befürchten, die Ölvorräte könnten schon bald erschöpft sein. Doch dem ist nicht so. Die Ölquellen werden auf absehbare Zeit nicht versiegen. Gleichwohl wird das Öl immer teurer werden, weil es auf diesem Markt praktisch eine Monopolsituation gibt. Daher werden Kohle und Gas künftig eine größere Rolle spielen - aber auch erneuerbare und nukleare Energiequellen, Kern- und langfristig auch die Fusionsenergie.
Die Welt: Es besteht also kein besonderer Grund zur Sorge?
Lomborg: Die Fakten sind doch, daß die Menschen mehr Nahrung zur Verfügung haben, länger leben, die Kindersterblichkeit niedriger ist, sie mehr Freizeit und mehr Einkommen haben, eine bessere Ausbildung erhalten, und die Umwelt wird in vieler Hinsicht nicht schlechter, sondern besser - auch die Luft- und Wasserqualität.
Die Welt: Diese Erfolge basieren auf Wissenschaft und Technik?
Lomborg: Die Erfolge basieren auf vielen verschiedenen Dingen. Der entscheidende Punkt ist doch, daß wir deshalb immer mehr Probleme lösen können, weil wir immer reicher geworden sind. Und genau dies haben wir ja auch getan, so daß es der Umwelt heute viel besser geht als noch vor einigen Jahrzehnten. Da wir aber nicht alles auf einmal tun können, kommt es darauf an, daß wir die richtigen Dinge tun - das Wichtigste zuerst. Die Luftverschmutzung tötet zum Beispiel jährlich rund 65 000 Menschen allein in Großbritannien. In den USA sind es 135 000 Tote. Pestizide töten hingegen vielleicht nur einen Menschen pro Jahr. Da muß man die Prioritäten beim Handeln richtig setzen. Die effizientesten Dinge müssen einfach zuerst gemacht werden.
Die Welt: Was sind die drei Themen mit der höchsten Priorität?
Lomborg: Wenn wir von den entwickelten Ländern sprechen, dann ist die absolute Nr. 1 die Luftverschmutzung. Die amerikanische Umweltschutzagentur schätzt, daß zwischen 86 und 96 Prozent aller Vorteile für den Menschen, die aus irgendeiner Umweltschutzmaßnahme resultieren, sich aus Regulierungen zum Schutz der Luft ergeben. Daher sollten sich auch 86 bis 96 Prozent aller Umweltschutzdiskussionen um das Thema Reinhaltung der Luft drehen. Zwar ist die Luft innerhalb der letzten 50 Jahre dramatisch besser geworden, dennoch bleibt hier viel zu tun. Was wir dann als Thema Nr. 2 oder Nr. 3 ansehen ist schon eher eine Geschmacksfrage. Wollen wir etwa den Sauerstoffeintrag in die Küstengewässer reduzieren, damit es keine so starke Algenblüte gibt, oder wollen wir weniger Ozon in Bodennähe haben, das hauptsächlich durch den Straßenverkehr verursacht wird? Was wir hier auch immer verbessern wollen - es ist sehr viel weniger wichtig als die Reinhaltung der Luft. Ich würde also sagen, daß es eigentlich nur eine Priorität gibt.
Die Welt: Wenn Sie von Luftverschmutzung sprechen, welche Moleküle meinen Sie dann?
Lomborg: Es geht hier nicht um eine bestimmte Art von Molekülen. Es geht hier um mikrometerkleine Partikel in der Luft. Dabei ist es gar nicht so wichtig, woraus sie bestehen. Solche Partikel werden hauptsächlich von Dieselmotoren in die Umwelt abgegeben.
Die Welt: Es gibt Filter, mit denen sie sich zurückhalten ließen.
Lomborg: Ja. Die EU hat hier leider Grenzwerte nach Gewicht etabliert. Diese kleinen Partikel wiegen jedoch fast gar nichts. Das Ziel muß hingegen vielmehr sein, so viele Partikel wie möglich aus dem Abgasstrom herauszufiltern. Das können die heute verfügbaren Filter, und sie sollten in alle neuen Dieselautos eingebaut werden.
Die Welt: Welche Krankheiten werden durch die Partikel ausgelöst?
Lomborg: Lungenkrebs und Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie eine Vielzahl anderer Erkrankungen. Doch wir haben hier letztlich nur statistische Informationen. Der kausale Zusammenhang mit einer bestimmten Erkrankung ist im Einzelfall nur schwer nachweisbar.
Die Welt: Es wäre Ihrer Meinung nach also sehr viel wichtiger, gegen die Luftverschmutzung vorzugehen, als den Ausstoß von Kohlendioxid zu reduzieren, wie es das Kyoto-Protokoll vorsieht?
Lomborg: Die Kohlendioxid-Emissionen sind ja ein ganz anderes Thema, weil sie niemanden direkt verletzen oder die Gesundheit beeinträchtigen. Sie haben vielmehr einen langfristigen Einfluß auf das globale Klima. Und hier muß man feststellen, daß der meiste Schaden durch die globale Erwärmung des Erdklimas die Dritte Welt treffen wird. Die Klimaerwärmung ist also in erster Linie ein Thema der Dritten Welt, das wir dort mit anderen Problemen vergleichen müssen. Auf die entwickelten Länder wird die Klimaerwärmung nur einen sehr geringen Effekt haben. Hier wird es negative, aber auch positive Auswirkungen geben, die sich im großen und ganzen kompensieren.
Die Welt: Aber welche Prioritäten sehen Sie dann für die Dritte Welt?
Lomborg: Hier muß man sehen, daß die Entwicklungsländer ganz andere und viel drängendere Probleme haben. Das größte Umweltproblem der Dritten Welt ist nicht wie bei uns die Out-door-Luftverschmutzung, sondern vielmehr die In-door-Luftverschmutzung. Die WHO schätzt, daß in der Dritten Welt jährlich 2,6 Millionen Menschen durch Luftverschmutzung innerhalb von Gebäuden sterben. Der Grund dafür liegt in der Nutzung unsauberer Brennstoffe wie schlechtes Holz, Kohle, Müll und häufig auch einfach Dung von Tieren, etwa zum Kochen, und das trifft dann besonders Frauen und Kinder. Das ist natürlich ein Armutsproblem. Das gilt für die meisten Probleme in der Dritten Welt. Wenn man sich darüber Sorgen machen muß, wie man an die nächste Mahlzeit kommt, dann macht man sich keine Gedanken über die Umwelt in 100 Jahren. Wenn man also etwas für die Umwelt tun will, dann sollte man in erster Linie versuchen, die Armut in der Welt zu überwinden.
Die Welt: Was halten Sie vom Kyoto-Protokoll?
Lomborg: Zunächst einmal müssen wir feststellen, daß es eine globale Erwärmung der Erde gibt und dies ein ernstes Thema ist. Alles in allem ist die Klimaveränderung eine schlechte Entwicklung für unseren Planeten. Aber am schlimmsten wird sie für die Dritte Welt sein. Dafür gibt es zwei einfache Gründe: Zum einen ist es in vielen Entwicklungsländern ohnehin schon sehr warm. Zum anderen ist dort viel weniger Infrastruktur verfügbar, um mit den Problemen umzugehen, die sich aus der Klimaerwärmung ergeben werden. Nehmen Sie zum Beispiel den Hurrikan "Andrew", der 1992 unter anderem Florida und Honduras heimgesucht hat. In Florida gab es praktisch keine Toten, und der Schaden betrug dort zehn Prozent des Bruttosozialprodukts von Florida. In Honduras gab es hingegen sehr viele Tote, und der Schaden summierte sich auf zwei Drittel des Sozialprodukts. Wer arm ist, wird also durch Naturkatastrophen besonders stark betroffen. Länder wie Dänemark werden indes von höheren Temperaturen sogar wirtschaftlich profitieren. Das zeigen Modellrechnungen.
Die Welt: Wenn Dänemark von der globalen Erwärmung profitieren soll, dann darf aber nicht der Golfstrom versiegen, wie dies bestimmte Klimamodelle vorhersagen?
Lomborg: Die Wissenschaftler des Dänischen Meteorologischen Dienstes haben sich alle Studien zum möglichen Versiegen des Golfstroms angeschaut. Es wäre in der Tat eine ganz ernste Angelegenheit, wenn der Golfstrom nicht mehr Wärme nach Europa transportieren würde. Doch alle Modelle zeigen, daß ein Versiegen des Golfstroms in diesem Jahrhundert extrem unwahrscheinlich ist. Das ist also eines dieser Themen, die eigentlich gar kein Thema sind.
Die Welt: Aber ist es ein Thema, wenn durch höhere Temperaturen auch in Europa mehr Todesopfer zu beklagen sein werden. Im ultraheißen Sommer 1993 starben Tausende Menschen.
Lomborg: Der eigentliche Grund, warum diese Menschen starben, ist doch, daß sie in Städten und ohne Klimaanlagen lebten. Innerhalb des letzten Jahrhunderts hat sich die mittlere Temperatur um rund 0,8 Grad Celsius erhöht. In den großen Städten stieg sie im gleichen Zeitraum jedoch um drei bis fünf Grad Celsius. Der Grund dafür sind die vielen dunklen Flächen aus Asphalt und Beton sowie andererseits der Mangel an Grün- und Wasserflächen. Das tötet die Menschen und nicht primär eine Klimaveränderung. Wenn man hier also wirklich etwas verbessern will, dann sollte man mehr Parks mit fließenden Gewässern bauen und den Anteil von dunklen Flächen reduzieren. Damit erreicht man mehr als mit dem Kyoto-Protokoll. Das wird nämlich den Temperaturanstieg auf unserem Planeten nicht stoppen können - allenfalls ein klein wenig verlangsamen. Ich will ja nicht ausschließen, daß eine globale Klimaerwärmung auf lange Sicht auch die Zahl der durch Hitze sterbenden Menschen vergrößert. Aber dann muß man auch darauf hinweisen, daß auf der anderen Seite die Zahl der an Unterkühlung sterbenden Menschen deutlich zurückgehen wird. Denn in der Ersten Welt kommen heute statistisch gesehen auf einen Hitzetoten zwei Kältetote. Es gibt Studien, die für Großbritannien jährlich 9000 weniger Todesfälle als Folge der Klimaerwärmung vorhersagen.
Die Welt: Die Erste Welt wird zwar vom Klimawandel eher profitieren, doch die Dritte Welt darunter stark leiden. Ist es nicht geboten, daß wir allein aus diesem Grund die Kohlendioxid-Emissionen reduzieren?
Lomborg: Diese Frage kann man natürlich stellen. Doch meine Gegenfrage lautet: Macht es denn Sinn, etwas sehr Teures und Aufwendiges zu tun, das vergleichsweise wenig nutzt, wenn es viele andere Optionen gibt, bei denen man mit geringerem Aufwand einen größeren Nutzen erreichen könnte? Aids, Unterernährung, der freie Handel oder Malaria sind Themen, die alle viel wichtiger sind als das Kyoto-Protokoll. Mir geht es doch darum, daß man so viel Gutes wie nur möglich tun kann. Und da ist das Kyoto-Protokoll ein sehr schlechtes Investment. Es verzögert die Klimaerwärmung nur um sechs Jahre, kostet uns aber mindestens 150 Milliarden Dollar pro Jahr.
Artikel erschienen am Fr, 4. Februar 2005
Quelle: http://www.welt.de/data/2005/02/04/458164.html?s=1