Die Leugnung der menschlichen Natur

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Sarante

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Dieses Buch lese ich gerade und es ist großartig ;)


Da sind ganz furchtbar viel Gene drin

Steven Pinker leugnet die Leugnung der menschlichen Natur

von Wolfgang Schneider

Erbe oder Umwelt? Der alte Streit zwischen Biologisten und Kulturalisten geht in die nächste Runde. Und was für eine Runde - 700 Seiten stark, ein Gefecht, in dem die Argumente-Kanonen donnern und der Pulverdampf der Debattenkultur schwer über der Landschaft liegt. Bald schon scheint der Sieg errungen, aber der Beschuss geht unaufhörlich weiter, denn der Feind hat bisher noch alle Niederlagen überstanden und seine Truppen immer wieder neu formiert. Diesmal aber soll endgültig Schluss sein mit der "modernen Leugnung der menschlichen Natur".


An der Kanone: Steven Pinker, Leiter des Zentrums für kognitive Neurowissenschaften am Massachusetts Institute of Technology, nebenbei ein brillanter Populärwissenschaftler. Das Angeborene ist Pinkers Sache. Nichts erscheint ihm absurder als die Annahme, der menschliche Geist könnte ein unbeschriebenes Blatt sein. Aber leider musste er feststellen, dass ein großer Teil der akademischen Menschheit genau diesem Glauben anhängt. Den englischen Aufklärungsphilosophen John Locke macht Pinker als Stammvater der Irrlehre aus. Nichts ist im Verstand, was nicht durch die Sinne, also die Erfahrung, dorthin kam - mit diesem Diktum habe Locke einst den Empirismus vorangebracht, heute behindere es den wissenschaftlichen Fortschritt.


Der soziale Konstruktivismus sei zum Standardmodell des humanen Selbstverständnisses geworden. Der Mensch ist friedfertig und unverdorben - und wenn er es nicht ist, dann liegt das am falschen Input: der falschen Erziehung, den falschen Schulen, der falschen Gesellschaft, den Strukturen oder dem Patriarchat. Keiner ist von Natur aus krimineller, begabter oder süchtiger als die anderen. Zwischen ethnischen Gruppen, Geschlechtern und Individuen soll kein Unterschied sein, zumindest kein in den Genen begründeter.


Dabei haben Untersuchungen von eineiigen Zwillingen, die nach der Geburt getrennt wurden und trotzdem später bis in aberwitzige Vorlieben hinein Übereinstimmungen aufwiesen, die Macht der genetischen Prägung längst erwiesen. Aber davon wollen die Anhänger des "unbeschriebenen Blattes" nichts hören, klagt Pinker. Als Viktorianer unserer Zeit verdrängen sie die neuen Einsichten der Biologie in die menschliche Natur.


Aber ist die "menschliche Natur" mehr als eine riskante Größe? Lässt sie sich überhaupt dingfest machen? Sicher doch, meint Pinker. Die menschliche Natur bestehe derzeit aus etwa 400 Begriffen. Am Ende des Buches werden sie aufgezählt, in einer langen Liste der angeborenen Universalien. Das Schönheitsempfinden, das moralische Verhalten, die Sitten oder die Sprachlogik - all das und noch viel mehr hat demnach eine weltweit gültige, kulturübergreifende Tiefenstruktur, bei allen Differenzen an der Oberfläche. Darüber hinaus sind längst zahllose weitere Einzelheiten bekannt: "Haben Sie hingegen die kürzere Variante eines DNA-Abschnitts, der das Serotonintransporter-Gen auf Chromosom 17 abschaltet, ist es wahrscheinlich, dass Sie neurotisch oder ängstlich sind." Wozu braucht es da noch eine Umwelt?

Nun ist Pinker kein soziobiologischer Polterer, dem die Gene alles und die Umwelteinflüsse nichts sind. In seinem programmierten Bestseller, für den er den bis dato höchsten Vorschuss der Sachbuchliteratur einfuhr, geht es ihm letztlich um einen Kompromiss. Er will die verbreitete Angst vor der Biologie nehmen und zeigen, dass sie durchaus mit moralischen Standards zu vereinbaren ist. Weshalb dann aber diese scharfe Gegenweltendebatte? Baut sich der Autor mit dem "unbeschriebenen Blatt" einen Popanz auf? Gibt es heute überhaupt noch Anhänger der reinen Lehre (oder Leere) vom "unbeschriebenen Blatt"? Selbst wenn nicht: Pinker schreibt neuere Wissenschaftsgeschichte, und hier kann über die enorme Wirkung des "unbeschriebenen Blatts" kein Zweifel bestehen. Im 20. Jahrhundert lief es mit den Ideologien vom neuen Menschen zu fürchterlicher Form auf. Pinker zitiert den Massenmörder Mao mit zarten Worten, bei denen es einen zugleich gruseln kann: "Ein unbeschriebenes Blatt Papier ist makellos, daher kann man die schönsten Worte darauf schreiben ..."

Und dann gibt es im Kreis der sozial- und kulturwissenschaftlichen Intelligenz auch heute noch viele, denen die Biologie ein rotes Tuch ist. Gerade in den vergangenen Jahren haben die Theorien des sozialen Konstruktivismus - etwa die Gender Studies - neuen Schwung genommen; hier gilt jeder "Essentialismus" als Todsünde. Ausgiebig dokumentiert Pinker die universitären und publizistischen Querelen um die Biowissenschaft. Forscher wurden von Demonstranten in ihrer Arbeit gehindert und denunziert - als Faschisten und "rechtsradikale Propheten des Patriarchats". Dass die Nazis schlechte Biologen waren, müssen die Wissenschaftler bis heute büßen. Pinker zeigt, wie die Thesen von Edward O. Wilson und Richard Dawkins tendenziös entstellt wurden. Wobei er auch den "Linksdarwinisten" Stephen Jay Gould nicht von Kritik ausnimmt. Noch weniger allerdings die bibeltreuen Kreationisten, denen die Evolutionstheorie und die Hirnforschung Teufelszeug ist.


So entsteht der Eindruck einer von allen Seiten bedrängten Wahrheit. Das mag zugespitzt erscheinen; die Argumentation gewinnt durch die Gegenposition jedoch erheblich an Kontur und Spannung. Pinker findet immer wieder Gegner, deren Standpunkten er mit Eleganz und gesundem soziobiologischem Menschenverstand den Boden entzieht, von den Ethnologen, die sich den "edlen Wilden" erträumten, bis hin zu jenen Philosophen, die das menschliche Denken ganz und gar in die Sprache verlagerten. Auch wenn es dabei manchmal etwas verschwörungstheoretisch zugeht, das "unbeschriebene Blatt" gibt dramaturgisch geschickt das Leitmotiv ab, dem alle Aspekte untergeordnet werden können. So gelingt dem Autor ein hochinteressanter und ungemein kenntnisreicher Schnitt durch die Wissenslandschaft, bei dem man nur klüger werden kann.


Ausgiebig beschäftigt Pinker sich mit der Frage der Plastizität des Gehirns. Neuere Forschungen haben eine geradezu spektakuläre "Umwidmung von Hirngewebe" erwiesen: Die Funktion zerstörter Hirnareale kann von anderen Teilen des Organs übernommen werden. Das Gehirn scheint demnach keineswegs von Geburt an in den Einzelheiten determiniert. Pinker beschreibt diese Flexibilität zunächst ausgiebig, um sie dann doch wieder merkwürdig zu relativieren - wohl damit niemand auf die Idee kommt, es könne sich doch wieder um eine Art "Blatt" handeln: das Gehirn als Palimpsest, bei dem die alte Schrift von einer neuen überdeckt wird. An diesem zentralen Punkt wirkt Pinkers Argumentation dünn.


Im letzten und längsten Teil des Buches geht es um fünf "Tretminen" - um die heiklen Themenfelder Politik, Gewalt, Geschlecht, Kinder und Kunst. Mit Anmut balanciert Pinker hier manches heiße Eisen; und naturgemäß tendiert der Biologe zum Konservatismus. Wenn Gewaltbereitschaft, Ethnozentrismus, Nepotismus und anderer Egoismus zum genetischen Betriebssystem des Menschen gehören, dann ist schlecht Utopia bauen.


Den Feministinnen stimmt Pinker mit geschmeidiger Korrektheit zu, sofern sie nicht jenem radikalen Flügel angehören, der Geschlechtsverkehr prinzipiell für Vergewaltigung hält und die Gesamtzahl aller Männer am liebsten auf zehn Prozent reduzieren möchte. Er versichert, ihre berechtigten Anliegen stünden nicht im Widerspruch mit biologischen Erkenntnissen. Selbst wenn: Den naturalistischen Fehlschluss, die Verwechslung von Erklärung und Rechtfertigung, will sich Pinker nicht zu Schulden kommen lassen. Dass etwas wahr ist, heißt nicht, dass es wahr sein sollte. Dass die Natur "gut" ist - diesen Glauben überlässt er Ökologen und Kräutersammlern. Sie teilen ihn mit den Sozialdarwinisten. Pinker hält es lieber mit Katherine Hepburn in "African Queen": "Wir sind auf dieser Welt, Mr Allnut, um uns über die Natur zu erheben."


Steven Pinker: Das unbeschriebene Blatt. Die moderne Leugnung der menschlichen Natur. Berlin Verlag, Berlin. 713 S., 29,80 EUR.


Artikel erschienen am Sa, 3. Januar 2004

Quelle: http://www.welt.de/data/2004/01/03/217151.html?s=1
 

deeveedee

Überzeugte Spaßbremse
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So langsam glaube ich reicht es langsam. Dauernd irgendwelche Newsbeiträge die im Endeffefft niemanden interessieren. Also lass es in Zukunft bleiben oder wir sind gezwungen zu handeln.

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