Ach sieh an, ich hab ja selber noch gar kein Statement hierzu abgegeben... (@redwolf, ich habe auch erst jetzt dein Angebot, mir bei der Argumentationsfindung zu helfen, gesehen... obwohl ich hier alles gelesen hatte. Wäre damals für mich vielleicht sogar hilfreich gewesen
)
Falls es noch jemanden interessieren sollte: Der Grund für meine Threaderöffnung damals war, wie im OP angegeben, eine Diskussion mit einer Bekannten über Mitleid. Sie kam aus heiterem Himmel plötzlich mit irgendeiner Nazithematik an und wollte wissen, ob ich schon einmal in einem KZ gewesen sei. Im Grunde wollte sie darauf hinaus, wie bedrückend die Atmosphäre dort für sie gewesen war, und weil ihre Empfindungen und Meinungen selbstredend der Maßstab der Welt sind, war ich plötzlich ein Monster, als ich dazu meinte, dass mich ein Besuch im KZ eigentlich überhaupt nicht berührt hat.
Als ich dann weiterargumentierte, dass Mitgefühl für völlig unbekannte Personen zum Teil auch aus Gewissens-u. Gesellschaftsgründen entsteht, kam das brillante Gegenargument: "Aber... STELL DIR VOR DA STEHT JETZT EINE JÜDIN MIT DEM RÜCKEN ZUM ZAUN UND WEIß, DASS SIE GLEICH STERBEN WIRD!! Drei... zwei... eins... SCHUSS!! Du hast KEIN Mitleid?!"
Dabei wurde ich eindringlich angesehen.
Und egal, was ich noch gesagt habe, alles, wirklich alles wurde damit gekontert, ob ich denn nicht begreife, wie schlimm das damals alles war und dass ich mir wahrscheinlich auch gar nicht des Ausmaßes bewusst sei und ... so weiter. Bwah. Leider muss ich dazu sagen, dass ich nicht unbedingt ein Diskussionsgenie bin und mir meine Argumente in einer direkten Diskussion meist auch gar nicht so einfallen, dass ich sie verständlich ausdrücken könnte.
Im Grunde sehe ich das so wie viele andere, die hier gepostet haben: Ich empfinde wenig bis gar kein Mitleid für mir völlig fremde Personen, insbesondere dann nicht, wenn ich überhaupt keinen Bezug zu der Situation desjenigen habe. Ich weiß nicht, was für eine große Rolle mein Unterbewusstsein bei der Mitleidsfindung spielt, aber grundsätzlich kann ich ja auch nichts dafür, dass ich eben nicht mitfühle, weswegen ich Personen nicht verstehe, die eine solche Einstellung nicht tolerieren können.
Nicht mitzufühlen ist ja nicht gleichzusetzen mit etwas gutzuheißen oder einen schlimmen Umstand herabzuwürdigen, es bedeutet einfach nur, dass man mit der Situation keine persönlichen Emotionen verbindet und emotional distanziert bleibt. Und wer kann einem ernsthaft vorwerfen, mit Juden, die man nie persönlich gekannt hat, oder einem entführten Mädchen aus den Medien, das man nie persönlich gekannt hat, keine persönlichen Emotionen zu verbinden?
Betroffenheit ist auch nochmal etwas anderes als Mitleid, betroffen bin ich manchmal auch bei mir fremden Personen, aber im Grunde auch nur dann, wenn ich irgendein Gefühl wirklich nachempfinden kann. Dabei muss ich die Situation nicht erlebt haben, es reicht eine bloße Emotion, sowas wie Enttäuschung. Ich bin meistens kurz betroffen, wenn irgendeiner Person völlig aus dem Blauen heraus irgendetwas unvorhergesehen Unangenehmes passiert; vor allem, wenn ich mir dann vorstelle, dass diese Person einen bestimmten Plan von ihrem restlichen Tag hatte und dieser Plan dann ins Wasser fällt. Ich hab absolut keine Ahnung, warum ich gerade so empfindlich auf diesem Gebiet bin; aber Mitleid habe ich dann trotzdem nicht. Nur ein komisches Gefühl, wenn ich über die Situation nachdenke, eigentlich sogar relativ losgelöst von der Person, der das eigentlich passiert ist.
Aber ich denke, gerade bei Mitleidsempfindungen bei Massenkatastrophen wie eben dem zweiten Weltkrieg oder Japan spielen ein gewisses Anstandsdenken und unterbewusste "Du bist ein schlechter Mensch, wenn du kein Mitleid hast"-Gedanken eine entscheidende Rolle. Auch das schlechte Gewissen und die mediale Aufbereitung solcher Themen.
Was da noch alles so mit reinspielt und in welchem Maße die Dinge eine Rolle spielen, kann ich natürlich nicht beurteilen, aber ich bin überzeugt davon, dass Mitleid, sofern man keinen persönlichen Bezug hat, an genau diesen Fäden hängt. Vor allem bei Leuten, die dir einreden wollen, dass du gefälligst für die ganze Welt Mitleid empfinden musst...
Fazit: Solange es keine Heuchelei oder Effekthascherei (dazu Ashraks Post, den mochte ich) ist, verurteile ich keine Menschen, die selbst für die entferntesten Schicksale, ohne persönlichen Bezug, Mitleid empfinden, aber denke gleichzeitig, dass das eigentlich nicht so recht wirklich pures Mitleid ist, obwohl die Menschen selbst das vielleicht glauben.
Aber ich verurteile Menschen, die zu intolerant sind, um einzusehen, dass es auch völlig natürlich und in Ordnung ist, kein Mitleid für Fremde zu empfinden.